30 Jahre Mauerfall: Migrant*innen in der DDR

Berlin/Ganderkesee (fs) – In der Webdokumentation „Eigensinn im Bruderland“ des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin berichten Zeitzeuginnen von ihren Erfahrungen als Migrantinnen in der DDR.

1971, Berlin-Ostbahnhof – Gaststudierende aus Vietnam treffen ein / © Bundesarchiv

Zwischen 1951 und 1989 studierten circa 70.000 junge Menschen aus über 125 Ländern in der DDR, etwa die Hälfte kam aus sogenannten befreundeten Staaten wie Vietnam, Mosambik, Kuba oder Chile. Neben Studierenden und politisch Verfolgten bildeten jedoch „ausländische Werktätige“ die größte Gruppe von Migrantinnen. Bilaterale Abkommen sollten ihnen eine qualifizierte Aus- und Weiterbildung garantieren, doch die Realität sah nicht selten anders aus. In der Webdokumentation „Eigensinn im Bruderland“ des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin geben Zeitzeugeninterviews und animierte Illustrationen persönliche Einblicke in das Leben von Migrantinnen in der DDR. Akten der DDR-Behörden und Einführungstexte erläutern die politischen Hintergründe.

Von Nordvietnam in die DDR

Pham Thi Hoài / © Bruderland

Meine Eltern haben gejubelt, denn alle träumten davon, ins Ausland zugehen. Erst kurz vor der Abreise wurde mitgeteilt, wer in welches Land geht. Ich kannte die DDR eigentlich gar nicht.

Pham Thi Hoài

Als 16-Jährige wurde Pham Thi Hoài 1978 aus Nordvietnam in die DDR geschickt, um dort mit 13 anderen leistungsstarken Schülerinnen im Auftrag der kommunistischen Regierung Archivwissenschaft zu studieren und um im Anschluss ein Archivwesen in Vietnam aufzubauen. Sie musste keine Studiengebühren bezahlen, bekam einen Wohnheimplatz und wie viele andere ein Stipendium der DDR. Solange sie Bestnoten vorzeigte, durfte auch Pham Thi Hoài die Freiheiten des Studentenlebens genießen: Sie hatte ostdeutsche Freundinnen, bewegte sich in Intellektuellenkreisen und verhalf später einem Landsmann sogar zur Flucht nach Westberlin.

MIỀN NAM CỦA EM – Mein südliches Vietnam, Kinderlied, 1980er Jahre / © Bruderland

Dringend benötigte Arbeitskräfte

Ein anderes Bild zeigte sich den „ausländischen Werktätigen“, die zu Zehntausenden mit der Hoffnung nach qualifizierter Aus- und Weiterbildung in die DDR geschickt wurden. In ihnen sah die DDR-Führung vor allem dringend benötigte Arbeitskräfte für eher unattraktive Bereiche, in denen die Fluktuation der DDR-Werktätigen besonders hoch war. Immer wieder organisierten ausländische Werktätige Streiks, um Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen bei der DDR-Regierung zu erwirken.

Mai Phuong / © Bruderland

Während des Deutschkurses habe ich gedacht: ‚Komisch, nur Wörter wie Teller, Topf, Messer lernen wir‘. Nach zwei Monaten hieß es, wir stecken euch in die Küche. Aber in Vietnam war 1981 Koch kein Beruf und wir Frauen mussten sowieso immer kochen. Die Ausbildung brachte mir erstmal gar nichts.

Mai-Phuong Kollath
Der Film über die erste Gruppe mosambikanischer Vertragsarbeiter*innen wurde 1979-83 durch die Abteilung ausländische Werktätige und dem Filmzirkel VEB Braunhohlenkombinat Senftenberg erstellt. / © Bruderland

Trotzdem arbeitete Mai-Phuong Kollath bis 1989 in den Großküchen des Rostocker Hafens im Schichtsystem, denn die Tätigkeit wechseln zu wollen oder gegen die „sozialistische Arbeitsdisziplin“ zu verstoßen, bedeutete, zurückgeschickt und dort teilweise hart bestraft zu werden. Ihre Schwangerschaft musste Mai-Phuong Kollath verheimlichen, denn erst nach der Geburt willigten die Behörden in die Heirat mit ihrem ostdeutschen Freund ein. Dem vietnamesischen Staat musste sie 8.060 D-Mark Entschädigung zahlen.

Rassismus und Ablehnung in der DDR

„Die DDR zeigte sich offiziell weltoffen und betonte die internationale Solidarität. Und doch sind heute Alltagsrassismus und rassistische Parteien vor allem auf dem Gebiet der ehemaligen DDR so verbreitet. Wir wollten daher wissen, wie haben sich Migrant*innen in der DDR behauptet? Und wie sehen sie diese Zeit heute?“, erklärt Dr. Isabel Enzenbach, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin des ZfA der TU Berlin zusammen mit out of focus medienprojekte die Webdokumentation „Eigensinn im Bruderland“ erarbeitet hat. Unterstützt wurde das Projekt von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Zwangsweise Rückführung

1988: Gastarbeiter aus Mosambik im Lederwarenkombinat Schwerin / © Bundesarchiv

Ende 1989 lebten ca. 190.000 Migrantinnen in der DDR. Davon waren 90.000 Vertragsarbeiterinnen, fast 60.000 kamen aus Vietnam. Studierende konnten meist ihr Studium im wiedervereinigten Deutschland abschließen, Vertragsarbeiterinnen drohte jedoch der Verlust des Arbeits- und Wohnheimplatzes und damit die zwangsweise Rückführung. Viele deutsche Kolleginnen sahen die Migrantinnen nun als Konkurrentinnen auf dem wiedervereinigten Arbeitsmarkt.

David Macou über Angriffe auf das Wohnheim der mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen am 1. Mai 1990 in Hoyerswerda. / © Bruderland

Rassismus, Gewalt und Ablehnung schlugen ihnen verstärkt entgegen. Als besonderer Anreiz zur Ausreise wurde allen Vertragsarbeiterinnen, die vor Vertragsablauf das Land verließen, 3.000 D-Mark Entschädigung angeboten. Ab dem 1. Januar 1991 galt das bundesdeutsche Ausländerrecht auch für das Gebiet der ehemaligen DDR, so dass Vertragsarbeiterinnen eine sogenannte befristete Aufenthaltsbewilligung bekamen. Erst 1997 erhielten die bis dahin noch in Deutschland verbliebenen etwa 15.000 ehemaligen Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam, Mosambik und Angola, die mittlerweile auf das gesamte Bundesgebiet verteilt lebten, ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland.

Die Webdokumentation

Die Webdokumentation „Eigensinn im Bruderland“ finden Sie im Internet unter https://bruderland.de/.

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