Kunst und Politik: Rassismus, ein Minister, eine Brandstifterin

Ein Theaterstück habe die Verfolgung von Politikern verursacht, hieß es in Norwegen. Der Skandal war aber gefälscht. Zu Besuch bei Künstlern, die schockiert sind von ihrer Macht und Ohnmacht.

Kunst wirkt. Und manchmal tut sie das auf ungeheuerliche Art und Weise. Ende November letzten Jahres hatte das Theaterstück “Ways of Seeing” Premiere auf der kleinen Bühne des unabhängigen Osloer Black-Box-Theaters, und ein paar Tage danach begannen die Angriffe auf das Haus des norwegischen Justizministers Tor Mikkel Wara.

Die Theaterleute waren angetreten, aufzuzeigen, wie rechte Ideen in den letzten Jahren in den Kern der norwegischen Gesellschaft eingesickert sind, wie der im Alltag oft ignorierte Rassismus sein Gift streut in einem Volk, das gerne weiter den Mythos pflegt vom glücklichsten und friedvollsten Volk der Welt. “Mit einem Mal blüht er, wo wir ihn gar nicht erwarten”, sagt eine der Hauptfiguren: “Er wechselt Form und Namen und es ist ihm nur mehr schwer beizukommen.” Vor allem versucht das dokumentarisch angelegte Stück, die Rechtsaußen-Netzwerke nachzuzeichnen: Es verknüpft die Punkte und nennt Namen: Von rechtsextremen Bloggern und ihren milliardenschweren Förderern aus dem Herzen der norwegischen Finanzwelt. Von der mächtigen PR-Agentur “First House”, und von Politikern wie Tor Mikkel Wara, der der Fortschrittspartei FRP angehört, deren Politiker libertäre Marktgläubigkeit und Steuerfeindlichkeit gerne mit islamophoben und rechtspopulistischen Tönen unterfüttern. Die Fortschrittspartei war lange isoliert in der norwegischen Politik, 2013 dann luden die Konservativen sie erstmals in die Regierung, heute stellt die FRP sieben Minister.

Rechte Blogs bekamen Wind von der Aufführung, ein Aufschrei ging durch die Szene

Im Stück besuchen die Schauspieler die Häuser rechter Akteure. Videoclips werfen die vor Ort gefilmten Fassaden auf eine Leinwand. Davor kauern die Schauspieler in den Büschen auf der Bühne. Als erstes ist das Haus von Justizminister Wara zu sehen, wie alle anderen Häuser ohne Nennung der Adresse und ohne einen Menschen im Bild. Rechte Blogs bekamen Wind von der Aufführung, ein Aufschrei ging durch die Szene. Eine Frau tauchte im Black-Box-Theater auf, filmte die Vorführung. Wie sich herausstellte, war es Laila Anita Bertheussen, seit mehr als 20 Jahren die Lebenspartnerin des Justizministers.

Am 28. November dann der erste Paukenschlag: Es erschien eine ganze Doppelseite in Verdens Gang (VG), der größten Boulevardzeitung Norwegens. Überschrieben mit den Zeilen: “Das ist keine Kunst. Es ist eine rücksichtslose und grobe Straftat”. Autorin des Textes war die Partnerin des Ministers. “Sie nennen es Kunst, ich nenne es eine schwere Invasion meiner Privatsphäre”, schrieb sie. Sie berichtete den Lesern, die Facebookseite von Sara Baban, einer der Schauspielerinnen, ziere das Bild einer Frau mit einem Maschinengewehr über der Schulter. Sie lebe in Angst, schrieb Bertheussen: “Was macht das mit der Demokratie?” Sie zeichnete mit “Laila Anita Bertheussen, Mutter”.

Eine Woche später sprühte jemand Hakenkreuze und das Wort “Rassist” auf Hauswand und Auto des Ministers (allerdings stand da “rasisit” statt “rasist” als sei der Täter des Norwegischen nicht völlig mächtig). Und das war erst der Anfang. Im Januar brannte plötzlich eine der Mülltonnen vor dem Haus der Familie. Anfang März lag ein verdächtiger Drohbrief im Briefkasten. Und ein paar Tage später dann die Eskalation: Da stand der vor dem Privathaus geparkte Wagen des Ministers in Flammen.

Norwegen war schockiert. Minister Wara selbst nannte die Anschläge einen “Angriff auf die Demokratie”, ein Satz, der bald quer durch die politischen Lager wiederholt wurde. Auch politische Gegner äußerten ihre Solidarität mit dem Minister. Schnell konnte man die These, wonach das Theaterstück “Ways of Seeing” sich zumindest der geistigen Brandstiftung schuldig gemacht hatte, nicht mehr nur auf rechten Blogs lesen. In einem Gastkommentar für Aftenposten, Norwegens wichtigste Zeitung, attestierte der Justizminister selbst dem Theater “moralischen Bankrott”. Sein Parteifreund Christian Tybring-Gjedde, dessen Haus ebenfalls in dem Stück auftaucht, schrieb, die Theaterleute wollten all jene “zum Schweigen bringen, die vor islamischem Faschismus warnen”, das Stück sei “staatlich finanzierter Hass auf Norweger”.

Mittlerweile hatte sich herumgesprochen, dass die beiden Hauptdarstellerinnen und Co-Autorinnen ihre Wurzeln außerhalb Norwegens haben: Hanan Benammar ist eine französische Künstlerin mit algerischen Wurzeln, Sara Baban eine norwegische Staatsbürgerin, die einst als Jugendliche aus dem kurdischen Teil Iraks geflohen ist. Hanan Benammar berichtet von einem Interview mit dem staatlichen Sender NRK: “Die erste Frage an mich war, ob wir uns verantwortlich fühlen für die Terrorangriffe auf das Haus von Tor Mikkel Wara.” Hass- und Drohmails erreichten vor allem Sara Baban, die in den rechten Blogs nur mehr die Frau mit dem Maschinengewehr über der Schulter war (tatsächlich hatte sie auf ihrer Facebook-Seite die Zeichnung einer kurdischen Kämpferin aus Rojava gepostet, dem de facto autonomen Gebiet in Nordsysrien). Kaum einer attackierte im Übrigen den dritten Hauptdarsteller, den 79-jährigen Ketil Lund, einen ehemaligen Richter des Obersten Gerichtshofes, der im Stück sich selbst spielt: “Ich bin Weißer, und damit überlegen”, kommentiert Lund das bei einem Mittagessen in Oslo sarkastisch.

Bild: Black Box teater

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