Limburg: AfD-Spitzenkandidatin mit fraglichen Lebenslauf und Studienabschluss

Die AfD-Kreisvorsitzende Christine Anderson wird mit großer Sicherheit ins Europäische Parlament einziehen. Nun gibt es Zweifel an ihrem Lebenslauf.

Eine(r) erzählt Andersons Märchen. Aber wer? Ralph Möller oder Christine Anderson? Der Mann aus Eschwege wirft seiner in Lindenholzhausen wohnenden Schwester vor, ihren Lebenslauf massiv gefälscht zu haben. Und noch ein paar andere unschöne Dinge – bis zur Kindesentführung.

Der familiäre Streit würde nur die Betroffenen interessieren, wenn Christine Anderson nicht die Spitzenkandidatin der hessischen AfD für die Europawahl am kommenden Sonntag wäre. Ihr Einzug ins Parlament gilt als sicher. Die Alternative für Deutschland hat derzeit sieben Abgeordnete im EU-Parlament (bei einem Stimmenanteil von 7,1 Prozent 2014); in allen Prognosen wird ein zweistelliges Ergebnis für die Partei erwartet.

Christine Anderson weist die Anschuldigungen energisch zurück. “Da ist nichts dran”, sagte sie gestern in einem Gespräch in unserer Redaktion im Beisein von AfD-Wahlkampfkoordinator Pierre Lamely. “Ich bin schockiert vom Verhalten meines Bruders.”

Die 50-Jährige hat dicke Mappen mit Unterlagen dabei. Die Schriftstücke bestätigen einen großen Teil ihrer Darstellung. Aber nicht alles – und deshalb bleiben ein paar Ungereimtheiten. Christine Anderson erklärt die Lücken mit ihrer “dramatischen Flucht” aus den USA. Dazu später.

AfD-Spitzenkandidatin: Studienabschluss fraglich

Wesentlicher Knackpunkt ist die Frage, ob sie ihr Wirtschaftsstudium in Kalifornien abgeschlossen hat oder nicht. In ihrer Vita auf den AfD-Seiten im Internet schreibt Christine Anderson, dass sie während ihres sechsjährigen Aufenthalts in den USA Economics studiert hat. In ihrer Bewerbungsrede auf dem Parteitag in Magdeburg berichtete sie im vergangenen November von einem abgeschlossenen Studium. Im gleichen Zeitraum war die junge Frau berufstätig. Nach eigenen Angaben mit flexiblen Arbeitszeiten von 8 bis 17 oder von 13 bis 22 Uhr als Geschäftsführerin und verantwortlich für ein Jahresvolumen von 1,6 Millionen US-Dollar, laut Bruder als Verkäuferin für Damen-Oberbekleidung.

Nach den vorgelegten Scheinen des El Camino College (ECC) bei Los Angeles hat sie auf jeden Fall studiert, was Ralph Möller bestreitet. Anderson zeigt mehrere Arbeiten und gut bewertete Klausuren, allerdings keinen Abschluss. Sie behauptet, den Studiengang 1994 aufgenommen und 1997 als “Undergraduate” abgeschlossen zu haben. Laut ihrer ersten Stellungnahme gleichzusetzen mit dem “Bachelor” und die Voraussetzung für einen qualifizierten Masterstudiengang.

Recherchen zum ECC werfen noch mehr Fragen auf: Demnach sind Community Colleges öffentliche Hochschulen, an denen man nach zweijährigem Studium ein Associate’s Degree bekommen kann. Der halbe Weg zum Bachelor. Wer weiterstudieren will, muss dann an eine Universität (4-year college) wechseln, um den Bachelor zu erreichen. Associate’s Degree allein zählt nicht als Hochschulabschluss. Mit diesen Fakten konfrontiert, räumte Anderson gestern Abend ein, ihr Abschluss sei nicht mit dem Bachelor in Deutschland gleichzusetzen.

Ob die Deutsche in Amerika Geschäftsführerin war, wie es auf der Homepage heißt, kann man ihr glauben – oder auch nicht. Sie will es mit Arbeitsprotokollen und Zeugnissen von zwei Handelsunternehmen (“The Broadway Company” und “Victoria’s Secret”) dokumentieren; darin wird sie als Manager und “Proprietress” bezeichnet. Wer einmal in den USA war, weiß freilich, dass sich dort fast jeder Verkäufer Manager nennt.

Bild: Screenshot Youtube

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