Berge von Rettungswesten finden sich auf dieser Müllhalde auf Lesbos. Jede Rettungsweste ist eine Geschichte, sagt Farshad. Er ist für die NGO Light House Relief auf Lesbos. Die Organisation empfängt Flüchtlinge an der Küste und erstversorgt sie. / Foto: © Radio Bremen/Anne Thiele

TV-Tipp: Radio Bremen-Reportage “Scheiß auf Moral! – 5 Jahre Flüchtlingskrise”

Bremen/Ganderkesee (ots/fs) – In der Radio Bremen-Reportage “Rabiat: Scheiß auf Moral! – 5 Jahre Flüchtlingskrise” schaut Rabiat-Reporterin Anne Thiele erneut dorthin, wo Europa gerne wegschaut. Denn an den europäischen Außengrenzen steht das von der Schuldenkrise gebeutelte Griechenland ganz allein vor der Frage, wohin mit all den Menschen, die trotz des Flüchtlingsabkommens aus der Türkei dort über die Grenzen kommen. Und auf eine Antwort scheinen alle Bewohner der griechischen Insel bis heute sehnsüchtig zu warten.

Sendetermin

Idoia arbeitet für Ärzte ohne Grenzen in dem provisorischen Krankenhaus neben Moria. Sie spricht mit Reporterin Anne Thiele über die Verhältnisse in dem Flüchtlingslager. Kinder mit Suizidgedanken seien keine Seltenheit, berichtet sie. / Foto: © Radio Bremen/Anne Thiele

Zu sehen ist die Reportage am Montag, 18.5., 22.45 Uhr im Ersten und Sonntag, 17.5., ab 18 Uhr in der ARD Mediathek (https://www.ardmediathek.de/ard/).

Y-Kollektiv-Reportage über die Situation auf Lesbos

“Alles schon gesehen? Klar, Berichte gab es genügend. Warum reden wir dann drüber? Weil es nicht aufhört und weil die, die hier leben, sich von Europa im Stich gelassen fühlen.” Mit diesen Worten leitete Rabiat-Reporterin Anne Thiele vor anderthalb Jahren ihre Y-Kollektiv-Reportage über die Situation auf Lesbos ein.


Reporterin Anne Thiele im Gespräch mit Einheimischen im Dorf Moria. Der Ort ist nur zwei Kilometer von dem gleichnamigen Lagern entfernt. Einer der beiden Männer erzählt, dass viele Geflüchteten klauen würden. Er wisse aber, dass die Situation der Geflüchteten sie dazu bringen würde und sie eigentlich keine Diebe und Vandalisten sind. / Foto: © Radio Bremen/Anne Thiele

Heute muss man feststellen: Es ist kein bisschen besser geworden. Im Gegenteil: Anfang März 2020 ist die Situation auf Lesbos so sehr verschärft, dass Y-Kollektiv-Reporter Nico Schmolke der griechischen Insel einen weiteren Besuch abstattete und dabei selbst um seine Sicherheit fürchten musste.

Und mittlerweile ist die Lage weiter eskaliert: Die Geflüchteten bleiben auf engstem Raum zurück, während die meisten freiwilligen Helfer aus Angst vor der Corona-Pandemie längst abgereist sind und Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter nach Hause holen. Über eine Evakuierung des Camps aufs griechische Festland wird gestritten.


Reporter Nico Schmolke Anfang März auf Lesbos: Er ist spontan auf die Insel geflogen, um sich selbst ein Bild zu machen von der Gewalten von Rechten gegen Geflüchtete, NGO’s und Journalisten. Auf der Straße filmt er nur mit dem Handy, da er selbst Angst hat als Journalist erkannt zu werden. / Foto: © Radio Bremen/Nico Schmolke

Aktuell leben um die 20.000 Menschen in dem Flüchtlingscamp in Moria auf Lesbos, das eigentlich nur für rund 3.000 Geflüchtete ausgelegt war. Eine Zerreißprobe, nicht nur für die Menschen, die dort ankommen und deren Traum vom Paradies Europa in provisorischen Zelten auf engstem Raum zerplatzt. Auch die griechischen Bewohnerinnen und Bewohner der Insel haben langsam genug. Wirtschaftlich, persönlich und mit ihren Nerven geraten sie immer mehr an ihre Grenzen. Verständlich, denn selbst in deutschen Städten bleibt der Umgang mit Geflüchteten problematisch und führt zum Beispiel auf der Bremer Discomeile zu Konflikten, in die nicht selten auch die Polizei verwickelt wird.

Dass es so nicht weitergehen kann, das stand bereits bei Anne Thieles Besuch auf Lesbos vor anderthalb Jahren fest; die zentralen Fragen bleiben jedoch. Wer ist in der Verantwortung, etwas zu ändern, und warum tun die Verantwortlichen nichts, um etwas an der Situation zu ändern?


Nicos und Malena erzählen von ihren Ängsten bald selbst zu Wirtschaftsflüchtlingen zu werden, weil sie durch die Flüchtlingswelle auf der Insel nicht mehr genug Geld verdienen können. Alles werde teurer. Bei einer Demo gegen ein neues Camp eine Woche zuvor, waren sie selbst dabei. Ihre Wut richtet sich aber nicht gegen die Geflüchteten sondern gegen die Politik, sagen sie. / Foto: © Radio Bremen/Nico Schmolke

Als Erdogan dann Anfang 2020 beschloss, die Grenze zur EU zu öffnen, eskalierte die Situation auf Lesbos, das nur wenige Kilometer von der Türkei entfernt liegt. Helfende und Freiwillige wurden von rechten Schlägertrupps attackiert, Migranten und Geflüchtete verprügelt und Journalistinnen und Journalisten angegriffen. Lesbos, so scheint es, hat endgültig die Schnauze voll. Was sind das für Leute, die nun zu Gewalt übergehen – organisierte Rechte oder normale Bürgerinnen und Bürger?

Kaum ein Thema hat sich die vergangenen Jahre in den Medien so vehement gehalten wie die Frage nach dem richtigen Umgang mit Geflüchteten in der EU. Alles schon gesehen? Ja, klar. Aber gerade in Zeiten, in denen die deutsche Wohlstandsgesellschaft vom Coronavirus zur Rückbesinnung auf Solidarität und Achtsamkeit gezwungen wird, müssen diese Fragen gestellt werden: Kommt das Virus hier der Politik zuvor und macht mit Grenzschließung und Aussetzung des Asylrechts möglich, was für die Politik rechts der Mitte bisher nicht durchsetzbar war? Oder: Will die Gesellschaft in Zeiten von gelebter Solidarität und größtmöglicher Achtsamkeit wirklich, dass mit schutzsuchenden Menschen so unwürdig umgegangen wird?


Reporterin Anne Thiele schlängelt sich durch das Labyrinth aus Zelten, Planen und Containern des Flüchtlingscamp Moria. / Foto: © Radio Bremen/Anne Thiele

Das Team

  • Buch/Regie: Anne Thiele, Nico Schmolke
  • Kamera: Andy Lehmann
  • Schnitt: Danny Breuker
  • Ton: Boris Joens
  • Mischung: Hajo Burgdorf
  • Coloristin: Safy Jana Reske
  • Produktionsleitung: Christoph Dohne, Michael Kappler
  • Producer: Manuel Möglich, Christian Tipke
  • Redaktion: Michaela Herold (Radio Bremen)
  • Leitung: Thomas von Bötticher (Radio Bremen)
  • Eine Produktion der Sendefähig GmbH im Auftrag von Radio Bremen für Das Erste © 2020

Rabiat – das junge Reportageformat von Radio Bremen

Das Reportageformat “Rabiat” im Ersten gibt jungen Reporterinnen und Reportern die Möglichkeit, ihre Geschichte für ein großes Fernsehpublikum zu erzählen. Die Autorinnen und Autoren veröffentlichen ihre Reportagen seit 2016 als “Y-Kollektiv” für funk, das Contentnetzwerk von ARD und ZDF. Sie sind preisgekrönt, nominiert, auffällig. Journalistinnen und Journalisten mit Haltung und Tiefgang im On, die auch mal voll in die Kamera sprechen, gehören zum Konzept. Der Fokus richtet sich auf die teilnehmende Beobachtung, das Kennenlernen, das Erleben. In drei neuen Reportagen, die ab dem 11. Mai 2020 montags im Ersten laufen, sind sie ganz nah dran: Die Macherinnen und Macher stoßen Zuschauerinnen und Zuschauern mit ihrer subjektiven Erzählweise auch mal vor den Kopf. Sie bauen Klischees in den Filmen auf, um sie postwendend zu brechen. Neue Sichtweisen sollen sich eröffnen. Die Filme wollen, sollen, ja sie müssen polarisieren, denn das macht gute Geschichten aus.

Dokumentation unter Corona-Bedingungen neu erzählt

Die Corona-Krise hat gewaltige Auswirkungen auf das Leben in Deutschland und in der ganzen Welt. Auch die “Rabiat”-Reportagen von Radio Bremen bleiben davon nicht unberührt. In der neuen Staffel von “Rabiat” hat das “Y-Kollektiv” deshalb sein umfangreiches Drehmaterial bei funk/YouTube genutzt, um Geschichten im aktuellen Kontext neu zu erzählen.

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